Eine Beraterkarriere
Die College University
Sie unterschreiben den Vertrag und freuen
sich auf eine akademikermäßige Ausbildung. "120
Ausbildungstage" auf dem Campus winken, und zwar sowohl
im ersten als auch im zweiten Jahr!
(In Wirklichkeit nicht mal 50 Tage pro Jahr,
selbst wenn Sie die Wochenenden mitzählen. Ob man das
allerdings wirklich eine "Ausbildung" nennen kann?)
Sie reisen für erste vier Wochen Schulung
nach Hinterwald in die Zentrale. Dort schwärmt man Ihnen
erneut vom Unternehmen vor und führt Sie in die Welt
der Kapitalanlagen ein. Der Dozent ist ein erfahrener Experte.
(Ist er nicht. Jeder Schüler, der enthusiastisch
beim Börsenspiel mitgemacht hat, hat mehr Ahnung von
der Börse als diese lächerliche Gestalt.)
Sie erfahren allerhand über die Welt
der Versicherungen.
(Wohl nur über einen Ausschnitt dieser
"Welt". Sie erfahren etwas über Gesellschaften
und Versicherungsverträge. Was bei einem Schadensfall
tatsächlich abgeht, darüber erfahren Sie so gut
wie nichts. Wozu auch: damit hat ein KACKENDREIST-"Berater"
auch nichts zu tun. Sollen sich doch Anwälte mit so was
rumschlagen.)
Und Sie erhalten Unterlagen über Finanzämter,
Arbeitsverwaltung usw. Als Sie hören, dass dies nicht
zum Prüfungsstoff gehört, legen Sie den Luxus erst
mal zur Seite.
(Und da bleibt er auch. Sie werden diese
Unterlagen niemals mehr anfassen. Sie haben nicht die geringste
Ahnung von den Abläufen in der Agentur für Arbeit,
in den Sozialämtern, Finanzämtern, Krankenkassen,
wo auch immer. Keine Theorie, schon gar keine Praxis.)
Abends erkunden Sie mit anderen Neulingen
die Altstadt von Hinterwald und kehren ein. Am Nachbartisch
feiern gerade Bankkaufleute ihre bestandene Abschlussprüfung.
Leute in Ihrem Alter, darunter ansprechend gekleidete Frauen,
die ausgelassen die Gläser klingen lassen und ab und
an interessiert rübergucken. Ah, "Kollegen"
denken Sie und führen sich beiläufig bei einer Schönen
als angehender KACKENDREIST-"Berater" ein. Einen
Moment lang herrscht am Nachbartisch eisige Stille. Das Lächeln
der Frau gefriert, sie nickt höflich bis mitleidig und
dreht Ihnen wortlos den Rücken zu. Niemand will mit Ihnen
etwas zu schaffen haben.
(Kein Wunder. Bankkaufleute, Finanzfachwirte
und Versicherungsfachwirte investieren in ihre Ausbildung
ca. vier Jahre und legen eine staatlich anerkannte Prüfung
ab. Was Sie in den letzten vier Wochen über Geld gelernt
haben, ist ein Witz. Finanzvertriebe genießen in der
Branche ein ähnliches Ansehen wie Kaffeefahrten, um es
noch höflich auszudrücken.
Die umfassende Ausbildung hindert natürlich auch Bankkaufleute
nicht an Fehleinschätzungen und provisionsorientierter
Falschberatung. Wenigstens wird man dann aber auf einem hohen
Niveau falsch beraten.)
Schon in der fünften Woche findet die
Ausbildung nicht auf dem Campus statt (wie Sie anfangs eigentlich
erwartet hatten), sondern in Ihrer künftigen Geschäftsstelle.
(Ihre in vier Wochen erworbene Kompetenz
wird alles bleiben, was Sie - den so kompetenten Finanzberater
- von Ihren Kunden fachlich unterscheiden wird. Wenn Sie in
ein paar Wochen das nächste mal nach zur Hinterwald reisen,
gibt es nur noch Verkaufstraining.)
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