Eine Beraterkarriere
Das Weekly Briefing
Das Unternehmen befiehlt Sie in die Geschäftsstelle
Deppendorf. Ihr Geschäftsstellenleiter (GL) ist Olaf
Dünnebier. Der hat zwar keinen Doktortitel, stellt aber
jede Menge promovierte Akademiker ein, die unter ihm arbeiten.
Dünnebier ist eher ein rustikaler Typ, hat jedoch mit
seinen Verkaufsmethoden Erfolg.
( "Dräng die Kunden in die Ecke,
bis sie endlich unterschreiben!" ist einer seiner flapsigen
Wahlsprüche. Deshalb, und nicht etwa aufgrund irgendwelcher
"soft skills" ist Dünnebier GL geworden.)
Dünnebier begrüßt Sie auf
Ihrer neuen Arbeitsstelle und stellt Sie im wöchentlichen
Briefing den anderen als den "Neuen" vor.
Dann geht es reihum: "Sabine, Du hast letzte Woche nur
40% geschafft. Was ist los? Willst Du hier kein Geld verdienen,
oder was?"
(Die Prozentangabe bezieht sich auf die Tilgung
der Vorschüsse, die planmäßig nach 24 Monaten
erreicht werden soll. Hierzu müssten wöchentlich
durchschnittlich 100% erzielt werden. Wie gesagt: 5% eines
Jahrgangs schaffen das tatsächlich.)
"Es liegt nur an Euch!"
Obwohl die anderen erwachsene Menschen und freie Handelsvertreter
sind, werden sie vom GL wie Untergebene vor versammelter Mannschaft
zusammengefaltet.
(Der GL hat ein vitales Interesse an der
Leistung seiner ihm zugeteilten "Partner": Er verdient
ebenfalls an jedem Vertragsabschluss eine Provision mit.)
Ein anderer KACKENDREIST-"Berater",
Mario, wird jedoch vor der Gruppe gelobt: Er hat 120% geschafft!
(Mario hat eines dieser Seminare besucht,
in denen trainiert wird, wie man Leuten in Augen sieht, während
man sie belügt. Außerdem hatte er letzte Woche
in der Firma seines Onkels die gesamte Belegschaft mit Lebensversicherungen
bequatscht, die es sich mit dem Chef nicht verderben wollte.
Sabine hatte leider keinen solchen Onkel. Ihren Bekanntenkreis
hat sie ebenfalls schon abgeklappert (und dadurch sprunghaft
verkleinert). Und sie will ihre Kunden nicht über den
Tisch ziehen.)
"So, jetzt geht es an die Uni!"
Dünnebier fährt seine Leute an die Universität,
wo sie Kunden werben sollen. Er erklärt gar nicht, wie
das vor sich gehen soll. "Ich habe jetzt einen Termin.
Bin um vier wieder da. Ich will von jedem 25 Kontakte sehen!"
Weg ist er. Auf welche Weise Sie die angehenden Akademiker
dazu bringen, Ihnen Ihre Adresse anzuvertrauen, ist Ihre Sache.
Mario kennt einen tollen Trick. Er klappert die ganzen Büros
ab und erzählt, er komme im Auftrag der Fakultät.
Man arbeite an einer Studie, ob die Uni-Angehörigen ausreichend
versichert seien. Bei dieser Gelegenheit kann er seine künftigen
Beratungsopfer schon ein bisschen ausspionieren. Für
"statistische Zwecke" bittet er um die Adresse und
wird sein Soll erfüllen.
Um heute nicht als Looser dazustehen, der beim nächsten
Weekly Briefing vor den anderen vorgeführt werden wird,
schreiben Sie in ihrer Verzweiflung einfach vom schwarzen
Brett irgendwelche Studi-Adressen ab. Dass diese Adress-Auswahl
kein ernsthaftes Kundenpotential sein kann, ist Ihnen klar.
(Gruppendynamik ist schon etwas seltsames:
Man ist zu plötzlich zu Verhaltensweisen bereit, die
man im normalen Leben nicht an den Tag gelegt hätte.
Sie täuschen den Kollegen eine irreale Leistung vor.
Diese werden durch ihre Illusion wiederum unter Druck gesetzt,
selbst versagt zu haben. Ohne es zu merken spielen Sie das
perfide Spiel der KACKENDREIST AG.)
Sie kriegen die Woche in Deppendorf irgendwie
rum und lernen die Abläufe in der Firma näher kennen.
Man bekommt dort ein Büro zugewiesen und teilt sich Empfangsdamen
und Sekretärin. Die einzelnen "Berater" arbeiten
allesamt mit Laptops, die an die Peripherie angedockt wird.
Die einzelnen Büros sind Durchgangsstationen, die sich
die "Berater" teilen. Es wird an allem gespart,
an dem man sparen kann.
(Zum Beispiel an Ihrer Sozialversicherung,
Ihren Lohnnebenkosten usw., wenn Sie statt "selbständig"
ein Angestellter wären.)
Die Berater bekommen den Ort ihrer Geschäftsstelle
von der Zentrale vorgeschrieben, müssen zu festen Dienstzeiten
erscheinen und Urlaub beantragen.
(Sie glauben also
wirklich, Sie seien ein freier Unternehmer? In Wirklichkeit
hat die KACKENDREIST AG die Nachteile des Angestelltenverhältnisses
mit den Nachteilen des freien Unternehmertums kombiniert.
Herzlichen Glückwunsch!)
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